In Gilneas schien es immer zu regnen. Seit zwei Tagen hatte es nun schon gegossen wie aus Kübeln, und Cheida ging es allmählich wirklich auf die Nerven. Sie spürte die kalten Tropfen auf ihrem Nacken, ihrer Kopfhaut. Und wie sie ihre Rüstung aus Leder durchnässte.
Wie sehr sehnte sie sich in alte Zeiten zurück, als sie mit ihrer Familie im warmen Immersangwald keine Sorgen zu haben brauchte. Doch diese Zeiten waren längst vorbei. Nun stand sie hier, auf einem Dach von vielen in der Hauptstadt Gilneas. Sie sah auf die ausgestorbenen Gassen der Stadt, auf die Kanäle die sie durchzogen wie Adern. Alte Steckbriefe wehten durch die Straßen, angetrieben durch Wind so kalt wie der Tod selbst.
Cheida fror. Aber das machte ihr nichts aus. Nun ja, weniger aus als es sollte. Für andere war sie seit neustem nicht mehr die, die sie mal war. Ihre einstmals schön anzusehenden grünen Augen, nun von einer dünnen Augenbinde verdeckt, um Fremde vor dem leeren Blick, der hinter ihr lauert zu bewahren. Augen so geistlos, wie nur Tote sie haben können.
Tatsächlich erinnerte Cheida dieser Blick an etwas. An einen Traum, den sie einst hatte. Sie sah sich selbst nur im Spiegel. Nichts weiter. Doch das Spiegelbild war ein Grauen für sich. Weiße Haare. Blasse, tote Haut. Seelenlose Augen. Und ein wahnsinniges grinsen im Gesicht. Sie selbst, zweifellos. Sie selbst als Tote.
Die blonde Elfe schüttelte sich aus ihren Gedanken, und konzentrierte sich wieder auf das wesentliche: Die menschenleere Stadt. Ihr Blick wanderte wieder über die Stadt. Sie sah nur dunkle Schatten anstatt der wahren Häuser. Und doch sah sie alles was sie brauchte. Es war faszinierend.
Im Regen überhörte sie ansonsten auffällige Schritte. Eine Gestalt gesellte sich zu ihr. Gebeugt, in eine dunkle Plattenrüstung gekleidet. Der Regen perlte an ihr ab, und diese Gestalt schien dieses Wetter überhaupt nichts auszumachen. Kein Wunder, so offensichtlich war der Untod dieser Gestalt.
Der Verlassene nahm den Helm seiner Plattenrüstung ab. Blaue Augen kamen zum Vorschein, mehr konnte Cheida im Schatten nicht erspähen. Wohl, weil es nicht mehr zu sehen gab. Er warf den Helm in die Gasse unter ihnen. Er verpuffte zu Staub. Ab diesem Moment wusste Cheida, wer sich dort zu ihr gesellte.
Erandon Demour, der Todesritter. Seine Stimme erklang rau, und klar.
"Ich dachte, ihr Elflein verzieht euch bei dunklen Zeiten, wie sonst auch?"
Cheida antwortete wie gewohnt emotionsfrei. Sie brauchte niemandem ihre Stimmung zu verraten, dem es nichts anging.
"Manche zieht die Dunkelheit magisch an."
"So wie euch?"
"Vielleicht. Vielleicht bin ich auch einfach nur eine Närrin."
"So seht ihr aus. Ein Glück dass ich hier bin. Von mir könnt ihr lernen."
Cheida seufzte leise. Erandon war in ihren Augen nur ein eingebildeter Möchtegernweiser. Niemals hatte er auch nur den Ansatz von Talent gezeigt. Immer wenn sie ihn aufgesucht hat, hat er unverständlich vor sich hingebrabbelt. So auch jetzt. Er redete, und redete. Die Elfe hörte bereits nur mit einem Ohr zu, als ein Wort von ihm ihre Aufmerksamkeit erweckte.
"Blutfeder."
"Was ist mit ihr?"
"Verwirrt, wie auch immer. Sie kapselt sich ab, wisst ihr? Ich habe sie..."
Ab da hörte Cheida wieder nicht zu. Sie ließ den Blick wieder über die Stadt streifen, und dachte über ihre Mission hier nach. Geldmittel für die Einheit beschaffen. Ohne weitere Finanzen wird diese Aktion ein Minusgeschäft, und ohne Kohle lässt sich keine Einheit im Laufen halten. Wieder horchte sie auf.
"Vleit."
"Wie?"
"Na, ich meine dass Vleit eine ganz hervorragende Kämpferin ist. Nicht so gut wie ich, aber..."
Die Hoffnung sank, ebenso wie Cheidas Aufmerksamkeit. Wie gut wären Informationen über diese Todesritterin gewesen. Zu gut. Die Elfe machte sich keine Hoffnung mehr, welche zu bekommen bevor es losging. Wieder erlangte der Verlassene an Cheidas Aufmerksamkeit.
"Ich habe dich gesehen, Cheinesse Sonnensang. Mit diesem rothaarigen in Arathi."
Cheida verlor die Fassung. Sie verlagerte ihr Gewicht von einem Bein auf das andere. Woher wusste der Untote das? Und vor allem... was ging ihn das an?
"Ich verstehe euch Lebende nicht. Aber ich weiß wie ihr euch selbst begründet. Du, Cheida, wirst in Freiheit deinen Untergang finden. Und das weißt du. Der einzige Weg ist... dich von der Vergangenheit zu lösen."
Cheida stockte.
"Ihr... woher wollt ihr das..."
Sie sah sich um. Der Verlassene war verschwunden. Er hatte eine verwirrte Elfe zurückgelassen.
Neuer Respekt wuchs in Cheida auf. Der Kerl wusste mehr, als es den Anschein hat. Und sie hatte das dumme Gefühl, dass das entweder zum großen Nachteil, oder Vorteil für sie werden kann...