Ein weißer Falke zog über die schwarzen Lande. Überall herrschte das Feuer. Dunkler Fels richtete sich vor den scharfen Augen des Vogels ab, und wurde von den Zwergen bewohnt und bearbeitet. Tiere die sich an den Lebensraum angepasst hatten jagten und lebten unter den Schwingen des Falken.
Die sengende Schlucht war schon immer so gewesen. Genau wie die brennende Steppe. Niemand könnte sich daran erinnern, dass das Land mal anders war. Der Falke setzte zum Sinkflug an. Dort unten war sie, seine Zielperson. Ihr blondes Haar war von weitem zu erkennen. Der Vogel verstand die Sprache der Zweibeiner nicht. Er merkte sich viel besser das Aussehen von ihnen, als zu versuchen auch nur irgendetwas zu verstehen. Er wurde gut gefüttert, und er liebte es zu fliegen.
Ein gutes Leben wurde ihm vergönnt. Er landete gewohnt auf der Schulter der blonden, und reichte ihr das dünne Pergament, welches an sein Bein geheftet war. Die Elfe nahm die Nachricht an, gab ihm ein kleines Korn zur Belohnung und entließ ihn damit. Froh wieder in schöner aussehendere Gelände zu dürfen trat der Falke den Heimweg an.
Cheida war überrascht, ihren Falken zu empfangen. Oder auch nicht. Sie rollte das kleine Papier auseinander, und las:
"Er wird nicht kommen."
Zufrieden nickte die Elfe. Das war eine gute Nachricht. Sie konnte sich ganz konzentrieren. Über ein Jahrhundert nun schon träumte sie von diesem Moment. Sehnte ihn herbei. Ihn nun zu erleben war bedrückend. Sie fasste ihren Mut zusammen, und trat durch die schwarzen Tore des Schwarzfels.
Im inneren war es wie immer verdammt heiß. Sie konnte die Lava nicht sehen. Nur eine schwarze Wolke. Alles andere sah sie klar in Umrissen. Sie war bereit. Noch einmal rückte sie ihre Augenbinde zurecht, prüfte die Faustwaffen und zog ihre Schwerter. Über eine gewaltige Kette fand sie Zugang zum Steinkern, der die Form eines Herzens hatte. Ob man es als das Herz dieses verfluchten Berges deuten konnte wusste Cheida nicht. Doch er diente als Boden für ihr Ziel.
Hilderil stand dort, als sie die Kette mit einem kleinen Sprung verließ. Lässig, wie immer. Es war beinahe schon grausam. Seine Robe war sicher prachtvoll, doch wieder sah Cheida nur dunkle Umrisse der Kleidung. Er war unbewaffnet.
Nur sein Grinsen, das war die tödlichste Waffe die er zu führen vermochte.
"Cheida, wie schön dass du zu mir gefunden hast. Und schneller als erwartet. Ich konnte mir nicht alles aneignen, was ich wollte. Aber es wird für einen famosen Kampf reichen."
Diese selbstgefälligkeit in seiner Stimme war ekelerregend. Cheida schüttelte den Kopf, und stellte sich nur wenige Schritt von ihm entfernt auf. Bereit für alles. Sie hatte kurz die Befürchtung, dass ihre Stimme versagen könnte. Doch sie sprach fest und deutlich.
"Je schneller ich von dir befreit bin, desto besser. Warum warten?"
"Frei?" Er lachte. "Freiheit wirst du hier nicht erlangen."
"Ich kann's versuchen." Cheida hob die Schwerter.
"Du willst einen unbewaffneten Mann niederstrecken? Schäm dich. Gib mir eine Waffe, damit ich mich ordentlich verteidigen kann. Dieser letzte Meilenstein... soll fair sein."
Dutzende Gedanken rasten durch Cheidas Kopf. Sie wusste, dass er ein hinterlistiges Schwein war. Und doch reizte sie der Gedanke, diesen Kampf in aller Fairness zu schlagen, auch wenn dieser Arsch das Wort "Fair" wohl nicht kannte.
Trotzdem war Cheida ihm eines ihrer Schwerter hin. Er fing es galant auf, und stellte sich kampfbereit hin.
"Endlich endet es..." Mit diesen Worten griff Cheida an. Sie ließ einen Schlaghagel auf Hilderil niederfallen. Ein Schlag schneller als der andere. Aber ohne Kraft. Leicht wich ihr Gegner zurück, und sorgte mit einem schnellen Vorstoß erneut für Kontakt. Schneller als gewollt musste Cheida in die Defensive gehen, um seine heftigen Schwünge zu blocken.
Die Lava brodelte fleißig weiter, während der Kampf tobte. Mal gelang Hilderil eine Angriffsserie, dann wieder Cheida. Keiner schaffte den entscheidenen Schwung. Mit einem Rückwärtssprung musste Cheida einem weit gelegten Stoß ausweichen. Zurück auf die Eisenkette, die den Steinkern zum Teil hielt. Hilderil setzte nacht, folgte ihr und die beiden kämpften auf dem Übergang weiter.
Die blonde Elfe konzentrierte sich. Sie würde hier nicht sterben. Blitzschnell parierte sie den nächsten Stich von Hilderil, und konterte. Sie rammte ihm das Schwert zur Hälfte in den Bauch. Er brach auch die Knie zusammen, und verlor das Schwert aus der Hand. Es fiel hinunter in die Lava.
Cheida atmete schwer aus. Sie hatte ihn geschlagen. Siegreich hob sie das Schwert an, um ihrem Peiniger den Gnadenstoß zu geben. Diesen letzten Hieb, der sie befreien würde.
Sie verharrte einen Moment zu lange. Ein schneller Schlag von Hilderil brachte sie aus dem Gleichgewicht, und in den Sturz. Sie fiel von der Kette. Es war vorbei, dachte sie sich. Ein Moment der Unachtsamkeit hatte ihr den Sieg gekostet. Sie war sich des Todes sicher, als ihre Hand gepackt wurde.
Hilderil hatte sie noch gerade am Handgelenk erwischt. Er stöhnte. Genau wie ihr Arm musste es auch an seinem unglaublich reißen, doch er schaffte es sie hochzuziehen. Sie suchte nach Halt, und setzte sich dann erleichtert ausatmend auf die Kette. Hilderil sah sie an. Cheida sah zurück.
Cheida setzt sich näher zu ihm, und strich ihm über die Brust.
"Das ändert gar nichts."
Mit diesen Worten fuhr sie die Faustwaffe direkt in seine Brust. Hilderil sah sie ungläubig an, als er nach vorne rübersackte. Gerade wollte Cheida grinsen, als sie seinen Griff am Bein bemerkte. Es war zu schnell, sie konnte sich nicht festhalten. Erneut fiel sie von der Kette. Diesmal gab es niemanden der sie retten würde.
Der Fall währte ewig für Cheida. Sie erinnerte sich in sekundenschnelle an die schönen Momente ihres Lebens. Und eine tiefe Zufriedenheit befing sie. Sie hatte den Tyrannen besiegt. Und auch wenn sie selbst nicht zurückkehrte, hatte sie das Versprechen eingehalten welches sie gab. Die Welt war frei von ihm.
Es wurde heißer. Tiefe Schwärze umfasste sie. Nicht durchsichtig, wie ihr Blick in den letzten Wochen ihres Lebens. Sie ließ ihre Gedanken und der Seele freien Lauf.
Und sie hörte ihn wieder. Den süßen Klang des Meeres. Die Wellen, das leichte plätschern und die Ewigkeit, die beides umgab. Wind wehte ihr durch das Haar. Es war herrlich. Sie wagte es nicht die Augen zu öffnen. Endlich Freiheit.
Sie war zuhause.
Lavyria ging ungeduldig in dem Anwesen hin und her. Seit der Niederlage in Gilneas hielt sie sich bedeckt, und verbrachte die Zeit Teils in Gilneas, Teils im Immersangwald. Die Translokationskugel in Unterstadt war eben praktisch.
Kurz bevor sie sich zurück in ihre Einheit begeben hatte, stolperte sie in Kalimdor über einen verwundeten Protodrachen. Ungewöhnlich für diese Tiere, sich so weit von Nordend zu entfernen. Aber der Irrsinn dahinter machte es umso spannender für Lavyria, dem auf den Grund zu gehen. Sie hatte den Protodrachen in tagelanger Arbeit geheilt, und einige Grundmanöver des Fliegens gelernt.
Nun hatte sie ebendiesen losgeschickt, kurz nachdem Cheida aufgebrochen war. Der Drache war sicherlich noch jung, also hoffte die Blutritterin, dass sie nicht auf das falsche Tier gesetzt hatte, als sie ihn zur Absicherung geschickt hatte.
Sie ging nun schon hin und her. Bestimmt zwei Stunden. Dieses Anwesen gehörte einst den Eltern von Cheida und ihrer Schwester. Es wurde niedergebrannt. Erst Lavyria konnte der Baugilde von Silbermond den Tritt verpassen, um es wieder aufzubauen. Passend, dass sie nun hier auf ihre Kindheitsfreundin wartete.
Endlich hörte sie die bekannten Schwingen vor der Haustür. Sie riss ebenjene auf, und hastete auf den kleinen Protodrachen zu, der eine kleine Gestalt in den Klauen hielt. Als Lavyria Cheida identifizieren konnte, atmete sie erleichtert auf.
"Das hast gut gut gemacht, Großer." Lavyria nahm Cheida ab, und trug sie in das Anwesen. Die Treppe hoch und dann in's erstbeste Zimmer mit einem Bett.
Cheida war nicht wirklich übel zugerichtet. Einige Kratzer, aber nichts was nicht innerhalb einer Woche heilen würde. Geduldig wartete Blutfeder, bis die blonde Elfe ihre Augen aufriss. Schnell fand der Blick ins Gesicht von Lavyria.
"Ich hätte es mir denken können, Lavyria. Du kannst mich wohl nie alleine lassen?"
"Ich war immer die, mit Hirn. Und die, die dafür sorgte dass wir heil nach Hause kommen."
Beide Elfen grinsten, dann traten die altbekannten Sorgenfalten auf Cheidas Gesicht als sie leise fragte.
"Ist er...?"
"Würde mich schwer wundern wenn nicht. Der Protodrache hatte den eindeutigen Auftrag alles Lebende zu retten. Wenn Hilderil also nicht hier ist, ist er tot."
Erleichtertes ausatmen seitens Cheida, dann wieder die Sorgenfalten.
"Und... was mache ich jetzt?"
Lavyria musste nachdenken. Vieles musste abgewogen werden. Besonders was Londarian anging. Tatsache war schließlich, dass der bärenstarke Elf ohne Cheida nicht mehr als ein erbärmliches Wrack war. Blutfeder konnte ihn in diesem Punkte nie verstehen. Doch bevor sie sich in unnötige Gedanken über Londarians Geist verstrickte raffte sie sich zur Antwort auf.
"Nun, du könntest zu Londarian zurück. Oder du gehst deinen eigenen Weg. Und... bevor du fragst. Es gibt keinen Mittelweg."
Cheida seufzte. Als Außenstehende konnte Lavyria die kleinen Zahnrädchen quasi hören, die sich hinter der Stirn der blonden drehten.
"Wie lange habe ich Zeit?"
"Solange wie du brauchst. Niemand kann dich zwingen, und ich wäre keine Freundin würde ich dich entsprechend meiner Interessen beraten."
Zufrieden lehnte die Blutritterin sich zurück auf dem Stuhl, auf dem sie saß. Ihre Worte hatten genug Wirkung verrichtet, dass ihre Freundin gleich zu einer Antwort kommen würde. Das konnte man in ihrem Gesicht lesen. Allerdings würde sie ihre Wahl auch überdenken.
"Lavyria... Ich will mich zurückziehen. Ins abgeschiedene. Ich muss diese Gedanken außerhalb des direkten Geschehens denken. Nur mit Leuten, von denen ich weiß dass sie mich richtig zu unterstützen wissen umgeben.
Lavyria nickte.
"Und wer wäre das?"
"Direkt mitnehmen werde ich nur Aeliria... Der Rest... Carlyn... Heliana... Du...Vleit... Sie dürfen es wissen. Und mich finden können."
"Und Londarian?"
Eine minutenlange Pause folgte, dann schüttelte Cheida den Kopf langsam.
"Ist es nicht irgendwie... dämlich wenn ich ihn für so etwas nicht brauchen möchte?"
"Nein, das ist eher weise und vorausdenkend." Bestätigend nickte Lavyria dabei. "Er würde dich ablenken. Und wer weiß? Wenn ihr so verbleibt wird er vielleicht irgendwann wieder normal."
Cheida sah Lavyria traurig an. Die blonde zupfte nervös an den Schnallen ihrer Rüstung herum.
"Nun, Lavy, meine Sorge ist eher dass ich den alten Londarian getötet habe."
"Wenn das so ist, haben wir eben Pech gehabt."
Bemüht kalt war Lavyrias Stimme bei ihrem letzten Satz. Sogar Cheida sah sie aus dem Konzept gebracht an.
"Cheida, wir haben alle unsere Laster zu tragen. Und wir haben alle schreckliche Zeiten durchgemacht. Auch wenn das unter Ansicht eines jeden anders ist, so ist Londarian nur ein Fall von vielen. Würde mich wundern wenn er der einzige unter vielen wäre, der nicht mit seinem Leben auf eine Linie kommt..."
Cheida nickte langsam.
"... Also ruhst du dich nun heute aus, und machst dich morgen auf den Weg. Pack alles ein, was du brauchst. Vorräte bekommst du von mir geschickt. Nimm dir soviel Zeit wie du brauchst. Ich werde allen die du mir nanntest bescheidgeben."
Wieder nickte Cheida. Lavyria stand auf, und ging zum Ausgang.
"Lavyria?"
"Ja?"
"Danke..."
Lavyria ging hinaus, und zog den Vorhang vor den runden Türrahmen.
"Keine Entschuldigung, Cheida. Der schwerste Teil liegt noch vor dir. Viel Glück."
"Alles was ich bin... Zorn... Grausamkeit... Rache. Vermache ich euch, Ritterin. Ich schenkte euch Unsterblichkeit, auf dass ihr ein neues... dunkles Zeitalter... der Geißel einleitet. Seht die Länder unter uns. Die Kapelle des hoffnungsvollen Lichts, und der scharlachrote Kreuzzug stellt sich uns trotzend entgegen.
Eine Schande für die Pestländer.
Ihr werdet zu meinem Werkzeug, des Todes, Ritterin. Auf euer Schwert, folgt die Verderbnis.
Geht nun, und folgt eurer Bestimmung. Todesritter."
Er stand dort. Arthas, der Lichkönig. Und neben ihm eine Elfe, die sich tief vor ihm verbeugte. Rasch trat sie davon, in die tieferen Gewölbe von Acherus. Auf einem Mal hielt sie inne. Sie zog die Kapuze herunter, und sah sich selbst im Spiegelbild einer kleinen eingefrorenen Pfütze. Sie schrie.
Cheida wachte keuchend aus ihrem Traum auf. Sie rieb sich die Schläfen, und schaute zur Uhr.
Es war Zeit, aufzubrechen.