57 v.D.P.
Silbermond - Anwesen des Hauses El'draan
Lavyrias Alter: 93
„Und wie geht es Eurem Mann, Lady Blutfeder?“
„Auf diplomatischer Mission in Lordaeron. Mal wieder. Ich kann mich kaum daran erinnern, wann er zuletzt für drei Wochen am Stück daheim war.“
„Das muss schrecklich sein.“
„Ach nein, mein Garten gibt mir nun wirklich genug zu tun. Außerdem habe ich ja noch Lavyria.“
Es dauerte einen Moment, bis Lavyria das Lächeln ihrer Mutter auffiel. Sie erwiderte es so gut sie konnte und musste dabei gegen Langeweile und Frustration ankämpfen. Alles in ihr sehnte sich danach zu schmollen, und damit für alle Welt zum Ausdruck zu bringen, wie sehr ihr dieses Frühstück auf den Geist ging. Doch die Etikette gebot anderes. Jedweder Ausbruch dieser Art hätte ihrer Mutter bleibende Rufschäden zugefügt, was Lavyria dann doch nicht wollte. Also lächelte sie brav und sah dabei von ihrer Mutter zur Gastgeberin hinüber. Eine jüngere Adelsfrau aus dem Hause El’draan. Cailah war ihr Name, und sie beherrschte das künstlich-freundliche Lächeln ebenso gut wie jede andere Frau in der höheren Schicht.
„Wie wunderbar.“ freute sich Cailah und führte eine passende Geste, damit das verzauberte Besteck ihr mehr Salat auf den Teller hievte. „Das Familienleben steht Euch gut, Lady Blutfeder.“
Damit hatte sich das Gespräch wieder von Lavyria entfernt, weshalb sie ihr Lächeln ablegte und lustlos den Löffel in ihrer Suppenschüssel herumschob. Sie warf einen kurzen Blick zum Nachbarstuhl, wo Cheida Sonnensang einen kaum besseren Eindruck machte. Ihre Kindheitsfreundin, blond und schön, kaute auf einem Stück Käse herum und starrte dabei die Karaffe mit Orangensaft in Grund und Boden. Ihre Mutter, Lady Anarielle Sonnensang, war etwas ruhiger als Cailah und Lavyrias Mutter Kithai. Aber wenn sie das Thema ebenso sehr langweilte wie die beiden Töchter, dann verbarg sie das hervorragend.
„Anarielle, was ist mit Eurem Mann? Ich hatte gehofft, ihn endlich kennenzulernen.“ Cailah warf ihr Lächeln zu Lady Sonnensang hinüber.
Diese erwiderte die Miene freundlich: „In der Enklave. Er hat kaum Zeit für die kleinen Dinge.“
„Ein pflichtbewusster Waldläufer. Ihr müsst sehr stolz sein.“
„Das bin ich, auch wenn seine Pflicht über das Korps hinausgeht. Er hat Familie, das ist auch eine Verantwortung.“
„Wie wahr, wie wahr.“
Die älteren Frauen hoben auf diese Einigkeit ihre Gläser an. Lavyria hörte ein leises Seufzen von Cheidas Seite, doch das drang nicht zu den Damen vor. Ein Blick zur Uhr. Es war gerade mal kurz nach zehn. Dieses Frühstück würde sich noch eine Weile hinziehen, und für den Rest des Tages jeglichen Lebenswillen rauben, da war sich Lavyria sicher.
Dann stieß Cheida ein erschrockenes Keuchen aus und zog damit die Aufmerksamkeit des ganzen Tisches auf sich. Sie hatte ihren Orangensaft über dem Kleid verschüttet.
„Ouh…“ gab sie entschuldigend in Richtung ihrer Mutter von sich. Lavyria kannte Anarielle genug um zu wissen, dass ein derartiger Fauxpas keine Ahndung finden würde.
„Keine Sorge, mein Schatz.“ bestätigte die blonde Lady Lavyrias Erfahrung.
„Darf ich Euer Bad benutzen?“ fragte Cheida in Cailahs Richtung.
Diese lächelte: „Aber natürlich. Richtung Treppe, linke Tür davor.“
Ohne großartig darüber nachzudenken erhob sich Lavyria zusammen mit ihrer Freundin: „Ich werde ihr helfen.“
Gemeinsam verließen sie den Wohnbereich und hielten erst an, als sie die Treppe erreicht hatten. Cheida machte keine Anstalten, im gewiesenen Bad zu verschwinden, sondern stieg sogleich die ersten Treppenstufen herunter.
„Wo gehst du hin?“ fragte Lavyria verwirrt.
„Wir…“ Cheida betonte den Fakt, dass sie nicht alleine war, „… gehen jetzt auf den Markt. Ich halte keine weitere Minute an diesem Tisch aus.“
Lavyria grinste, als ihr das Schauspiel gewahr wurde. Sie folgte ihrer blonden Freundin ohne weiteres Zögern die Treppen hinunter, hin zum Eingangsbereich des El’draan-Anwesens. Es gab Personal und Wachen, doch die beiden jungen Frauen hatten sich schon oft genug davongeschlichen um zu wissen, dass Selbstbewusstsein der Schlüssel zu allem war. Man tat so, als wäre man ganz genau da, wo man sein sollte.
Unter dem Mantel der Selbstverständlichkeit hielt niemand Lavyria und Cheida auf, während sie das Anwesen verließen und auf die Straßen von Silbermond entschwanden. In der Stadt wimmelte es nur so vor Leben. Schulklassen auf Erkundungstour, Händler die ihre Warenkarren Richtung Basar zogen, tratschende Hausfrauen auf ihren Einkäufen, edle Zauberer die sich eindeutig über den allgemeinen Pöbel erhaben fühlten. Es waren die Händler, denen die jungen Damen letztendlich Richtung Markt folgten.
Lavyria genoss diese Momente, auch wenn sie das gewisse Schuldbewusstsein nicht gänzlich abwerfen konnte. Ihr Alltag bestand daraus, rund um die Uhr überwacht zu werden. Wenn ihre Mutter das nicht selbst tat, dann einer der Bediensteten. Die einzige Tochter des Hauses Blutfeder durfte sich schließlich nicht verletzen. Eine einzige Narbe war ein Desaster für den Heiratsmarkt, der insbesondere für mittlere Adelsfamilien von großer Bedeutung war. Es galt, die Kinder in höhere Gesellschaft zu verheiraten, und dabei der Gefahr von Abstieg zu trotzen. Währenddessen konnten sich die mächtigsten Familien ihre Partnerschaften aus zahllosen Bewerbern aussuchen, während die untersten Familien nichts zu verlieren hatten. Lavyria hatte sich schon lange mit ihrer Rolle im Adel abgefunden. Dass sie mit einem Mann enden würde, den sie kaum kannte und der auch selten daheim war, während sie ihre gemeinsamen Kinder aufzog. Es war kaum die Traumvorstellung jedes Mädchens, aber auch nicht das schlechteste Schicksal.
Sie hoffte nur, tief in ihrem Inneren, dass ihre Mutter den Zukünftigen sorgfältig aussuchen würde.
Noch bevor Lavyrias Gedanken in die Abgründe des Adels stürzen konnten, erreichte sie mit Cheida den Basar. Der Markt war bereits im vollen Gange, mit all seinen Ständen und Bühnen, auf denen Handwerker ihre Waren anpriesen. Auf den Straßen der Stadt war es bereits voll gewesen, doch auf dem Markt konnte man kaum zwei Schritte gehen, ohne in jemanden hinein zu stolpern. Unter all den Bürgerlichen sorgte sich Lavyria einen Moment lang, ob sie und Cheida mit ihren teuren Kleidern nicht auffallen würden. Aber inmitten des Marktrubels hatte niemand ausreichend Zeit, um auf solche Details zu achten.
„Schau!“ sagte Cheida und zog Lavyria am Arm mit sich zu einem Stand, der nach wirklich gutem Fisch roch. Der Mann hinter den Kisten voll gutem Fang rief in die Menge hinein.
„Fische! Frische Fische!“
Der Handwerker vom Stand neben dem Fischer brüllte sogar noch lauter: „Ich geb dir gleich Fische du Saftsack!“
„ACH JA?!“ polterte der Fischer zurück, „DAS WÄR DOCH VIEL ZU GUT FÜR DICH, DU SCHWEINEFICKER!“
„KANN MICH NICHT DARAN ERINNERN DEINE MUTTER GEVÖGELT ZU HABEN!“
Inmitten des lautstarken Austauschs drängte sich Cheida zum Stand vor und hob einen Finger.
„Hallo.“ grüßte sie im normalen Gesprächston, was den Fischer sofort davon abbrachte, eine kluge Erwiderung auf die Beleidigung seines Nachbarn zu geben. Trotzdem hatte er einen hochroten Kopf.
„Wie viel kosten hier die Fischstäbchen?“
Fünf Minuten später schlenderten die beiden Frauen über den Markt, jeweils mit den erworbenen Fischstäbchen bewaffnet. Sie besahen sich die vielen Stände, die vor allem den täglichen Bedarf einer geneigten Hausfrau abdeckten. Es war nicht spannend oder besonders interessant. Dennoch genoss Lavyria die Atmosphäre, die leichte Freiheit, mit der sie sich durch die Menge bewegen konnte. Hier beobachtete sie niemand. Ein wenig kam es ihr vor, als könnte sie endlich wirklich durchatmen. Am Ende des Basars fanden sie eine Bühne, die völlig anders war als der Rest. Es gab kein Obst, kein Fleisch und keinen Fisch. Auch keine Haushaltswaren, oder neue Verzauberungen für das Eigenheim. Stattdessen gab es Waffen. Rüstungen. Hufeisen und Schilde. Die Menge vor dieser Bühne war etwas überschaubarer, und vor allem weniger weiblich. Die Bühne gehörte eindeutig einem Schmied, und sein Publikum waren Männer, die sich für seinen Stahl interessierten.
„Wollt Ihr die totale Rüstung?!“ brüllte der Schmied in die Menge und hob dabei die Faust. Seine Zuschauer machten es ihm gleich und gröhlten begeistert. Die Stimmung war gut, erfrischend plump. Vor allem fühlte sich Lavyria jedoch von diesem Schmied auf der Bühne angezogen. Er strahlte Begeisterung aus, und hatte genug Charisma, um eine ganze Horde für sich zu gewinnen. Seine Stimme war laut und selbstbewusst. Und obwohl er seinem Handwerk entsprechend dreckig daherkam, hatte er sorgfältig zusammengebundenes Haar und einen Bart, den Lavyria schon aus reiner Neugier berühren wollte.
„Und wer will mir helfen, diese totale Rüstung zu demonstrieren?!“
Wieder Gebrüll. Nahezu jeder Zuschauer ob die Hand und bot sich dem Schmied an. Lavyria zuckte zusammen, als sich auch ihre Hand hob. Nicht eigenmächtig. Cheida grinste breit und zerrte die Hand ihrer Freundin in die Höhe.
„Was machst du da?!“ zischte Lavyria panisch und versuchte, sich Cheida zu entwinden. Doch da war es bereits zu spät.
„Du!“ Die Stimme des Schmieds übertönte das Gebrüll. Blicke wandten sich um. Lavyrias kurze Hoffnung, die Aufmerksamkeit könnte sich auf jemanden hinter ihr richten, verflog nahezu augenblicklich. Cheida knabberte derweil wieder an ihrem Fischstäbchen herum und spielte das Unschuldslamm.
Der Schmied lächelte und winkte in Lavyrias Richtung: „Komm schon, eine hübsche Frau sollte sich mit einer WAFFE PRÄSENTIEREN DÜRFEN!“
Und schon brach die Menge wieder in Jubel aus. Lavyria konnte sich kaum wehren, wurde von kräftigen Händen hochgehoben und über die Menge in Richtung der Bühne getragen. Wiederholt setzte sie zu Protestrufen an und merkte, wie ihr ganz heiß im Gesicht wurde. Am Ende schlug sie gar in Richtung der tragenden Hände aus, als sie bemerkte, dass mancher die Gelegenheit nutzte, um ihren Po zu begrabschen. Der Schmied streckte die Hand nach ihr aus und zog sie scheinbar spielend leicht von der Menge auf die Bühne hinauf. Lavyria fasste ihren Atem und strich sich ihr Kleid glatt, nun gefangen im Auge der Öffentlichkeit.
„Wie heißt du?“ fragte der Schmied laut genug, damit auch die Menge ihn hören konnte.
„La… Lav…“ Lavyria räusperte sich. „… Lavy.“ Sie war nicht laut genug um gehört zu werden. Aber das spielte ohnehin keine Rolle, denn der Schmied wiederholte ihren Namen mit seinem wesentlich beeindruckenderen Stimmorgan.
„Sagt Hallo zu Lavy!“
Die Menge hob die Fäuste.
„LAVY! UH! UH! UH! UH! UH! UH!“
Lavyrias Herzschlag verdreifachte sich. Es fiel ihr schwer, einen klaren Gedanken zu fassen. Sie lächelte unwillkürlich, als ihr bewusst wurde, dass die Leute sie irgendwie gut zu finden schienen. Mehr noch, auf so etwas simples wie ihren Namen hin brach eine kleine Feier unter den Zuschauern aus. Während der Schmied sich eine Brustplatte umlegte, fand die Menge einen Takt, um Lavyrias Namen gebührend zu ehren.
„LAVY! LAVY! UH! UH! UH!“
„LAVY! LAVY! UH! UH! UH!“
Der Schmied unterbrach die Namensfeier mit seiner Stimme.
„Diese Brustplatte…“ er klopfte sich auf das Metall, das nun seinen Oberkörper bedeckte, „… wehrt selbst den mächtigsten Hieb ab! Nicht einmal ein Troll kann sie durchdringen. Aber lasst es Euch zeigen!“
Er ging zum Waffenständer auf der Bühne hinüber und hob einen massiven Streitkolben hervor, den er mit beiden Händen fassen musste. Der Kopf des Kolbens war mit Stacheln versehen, die zwangsläufig den Eindruck erweckten, schon mit wenig Schwung große Zerstörung anrichten zu können. Lavyria blinzelte dem Schmied entgegen und hatte Schwierigkeiten, den Kolben von ihm entgegen zu nehmen. Die Waffe war so unfassbar schwer, dass die Elfe sich zwangsläufig fragte, ob sie in ihrem Leben schon einmal etwas derart gewichtiges gestemmt hatte.
Während sie mit ihrem Gleichgewicht kämpfen musste, trat der Schmied zurück.
„Schlagt mich so hart, wie Ihr könnt!“
Lavyria atmete einmal tief durch. Die Menge war auf einmal verschwunden, nachdem sie völlig damit beschäftigt war, den Streitkolben nicht aus Versehen fallen zu lassen. Sie strengte ihre unterentwickelten Muskeln an, nahm all ihre Willenskraft zusammen und hob den Streitkolben somit tatsächlich über ihren Kopf. Triumphierend fixierte sie den Schmied und machte sich bereit, auf ihn loszugehen.
… Dann zog das Gewicht des Kolbens sie nach hinten und ließ sie rückwärts auf die Bühne fallen.
Die Menge – vor allem ihr Gelächter – kämpfte sich unsanft wieder in Lavyrias Bewusstsein hinein. Da war sie wieder, die Hitze in ihrem Gesicht. Doch bevor die Scham wirklich Fuß fassen konnte, stand der Schmied auch schon über ihr und reichte seine Hand.
„Alles in Ordnung?“ fragte er grinsend.
Sie wusste nicht warum, aber Lavyria musste einfach lächeln. Sie ließ sich von dem Schmied aufhelfen. „Ja, es geht schon.“
Er reichte ihr den Streitkolben zurück: „Den Kolben nicht hinter den Kopf. Einfach hochstemmen und dann fallen lassen.“
Lavyria nickte. Die warme Art, mit welcher der Schmied ihr aufhalf, stärkte auch ihren Willen zum Neuversuch. Ihre Muskeln protestierten bereits, waren sie doch keine solche Anstrengung gewohnt. Trotzdem hob Lavyria den Streitkolben an und ließ ihn dieses Mal wie vom Schmied gewiesen einfach nach vorne fallen. Dieses Mal stolperte sie einen Schritt nach vorne, konnte sich aber rechtzeitig mit einem Schritt abfangen und den Schwung zu Ende führen.
Zu ihrer eigenen Überraschung krachte der Streitkolben auf die Schulterpartie des Schmieds, die ebenfalls von der Brustplatte abgedeckt wurde. Es krachte, und der Mann wurde vom Aufprall auf den Hosenboden zurückgeworfen. Lavyria keuchte und ließ den Streitkolben sofort fallen. Die Menge hielt den Atem an.
Dann erhob sich der Schmied auch schon wieder. Die Brustplatte hatte nicht einmal eine Beule davongetragen.
„Eine Verzauberung zur Kraftübertragung!“ erklärte der Schmied stolz, „Ein Baum könnte auf Euch fallen, und Ihr würdet es nicht einmal bemerken.“
Und wieder Jubel aus der Menge. Nach anfänglicher Begeisterung fand sie in den Takt zurück, auf den sie sich bereits eingespielt hatte.
„LAVY! LAVY! UH! UH! UH!“
„LAVY! LAVY! UH! UH! UH!“
Lavyria konnte sehen, dass sogar Cheida bei der Begeisterung mitmachte. Noch immer konnte sie keinen klaren Gedanken fassen, aber lag das weniger an Panik und Scham. Eher war es ein Rausch. Die aufgeregte Freude der Zuschauer trug Lavyria wie eine Welle mit sich und brachte sie auf vorher nicht gekannte Hochtouren. Angespornt von der Menge ließ sie sich weitere Waffen reichen. Speer, Axt, Schwert und Morgenstern, wobei ihr das Schwert am besten gefiel. Mit diesem schlug sie wiederholt auf die Brusplatte des Schmieds ein, bis ihr rechter Arm komplett taub war. Zwar war das bereits nach wenigen Hieben der Fall, doch der Befriedigung tat das keinen Ablass. Und die angepriesene Brustplatte hatte keinen Kratzer von dem Schwert davongetragen.
„Ist das nicht die totale Rüstung?!“ fragte der Schmied schließlich in die Menge, die seit Anfang der Demonstration nur zugenommen hatte.
„JA!“ war die klare Antwort der Zuschauer.
„Und WO findet Ihr diese Rüstung?!“
„BEI ALWAROS!“
Es war das erste Mal, dass Lavyria den Namen des Schmieds hörte. Alwaros. Sie sah zu dem Schmied hinüber, der die Menge weiter anheizte und dazu aufrief, seine Schmiede in Morgenluft zu besuchen. Sie hatte von dieser Stadt bereits gehört, tatsächlich lag sie nicht weit vom Blutfeder-Anwesen entfernt. Aber unter der ständigen Überwachung ihrer Familie gab es kaum Gelegenheiten, die Stadt zu besuchen, geschweige denn jemanden von dort zu kennen.
Lavyria sah wieder in die Menge zurück und suchte nach Cheida, fand sie jedoch nicht. Sie suchte weiter, zog die Augenbrauen zusammen. Ein ungutes Gefühl beschlich sie, als sie die blonde Elfe auch beim zweiten Überblick nicht finden konnte. Cheida war eigenwillig, aber treu. Sie wäre nicht allein weitergezogen.
Noch bevor Lavyria ihren Schluss ziehen konnte, stampfte eine dekorierte Wache auf die Bühne und zog den verwirrten Blick von Alwaros auf sich. Die Menge wurde leiser, was es der Wache erlaubte, sie zu übertrumpfen.
„Lady Blutfeder! Eure Mutter erwartet Euch.“
Wieder spürte Lavyria, dass sie sich im Zentrum der Aufmerksamkeit befand. Die Menge war ihr dabei egal, es war die Überraschung des Schmieds, die sie beschäftigte. Fort war die laute Stimme, mit der er die Menge bespaßt hatte.
„Lady…“ murmelte er leise, „… Ich wusste ja nicht…“
Seine weiteren Worte gingen in lauten Buhrufen unter, als Lavyria von der Wache am Handgelenk gepackt und von der Bühne runtergeführt wurde. Der Griff war nicht grob, aber bestimmt, und Lavyria leistete keinen großen Widerstand. Sie sah noch einmal über die Schulter zu Alwaros, der ihr eindeutig verdutzt nachsah. Schlagartig überfiel sie eine unangenehme Ernüchterung, als ihr klar wurde, dass sie diesen Mann nie wiedersehen würde.
Die Buhrufe verloren sich, kurz nachdem die Wache sie zurück in das Marktgemenge geführt hatte. Von einer Sekunde auf die nächste waren sie wieder Fremde in einer fremden Masse. Eine weitere Wache wartete bereits an der Straße, die fort vom Basar führte. Cheida stand mit säuerlichem Ausdruck neben ihr.
Zwei Stunden später befand sich Lavyria allein mit ihrer Mutter auf dem Weg zurück nach Hause. In einer Kutsche, die das Hirtentor bereits überwunden hatte. Durch die Fenster konnte man den vorbeiziehenden Immersangwald sehen, nun unter einer Mittagssonne, was das Laub der goldenen Bäume so richtig zur Geltung brachte. Lavyria tat sich schwer, den Anblick zu genießen. Nicht nur, weil er Gewohnheit war, sondern auch wegen der Standpauke, die sie von ihrer Mutter erhielt.
„Was hast du dir nur dabei gedacht? Was, wenn dir etwas passiert wäre? Dieser… Haufen dreckiger Leute hätte dir wehtun können!“
Die Botschaft hinter der Zurechtweisung war eindeutig. Vorwürfe, wie Lavyria ihren Wert für die Familie aufs Spiel setzen konnte. Welcher angesehene Mann sollte sie schon zur Frau nehmen, wenn sie sich an einer plumpen Waffe verletzt hatte?
„Schämst du dich denn nicht?“ fragte ihre Mutter aufgebracht.
„Ja.“ antwortete Lavyria und hielt dabei ihren Blick gesenkt. „Verzeih mir, Mutter.“
Die Entschuldigung besänftigte Kithai Blutfeder, auch wenn sie gelogen war. Lavyria verbarg ihr schmales Lächeln.
„Na gut.“ beendete ihre Mutter das Thema und ließ Schweigen über die Kutsche herrschen.
Lavyria verbarg ihr schmales Lächeln. Sie bereute keine Minute. Weder die Flucht, die Fischstäbchen, noch die Panik als sie auf die Bühne getragen wurde. Denn es war eindeutig der aufregendste Tag, den sie seit Jahren erlebt hatte.
Ganz ungeachtet des nüchternen Beigeschmacks.