Raxelle – Begegnung mit den Robbenmännern
Eisige Luft peitschte der Blonden ins Gesicht. Unter ihren Füssen fand sich nichts als der Abgrund. Melvelith El’Thanas stand am Rand eines Abflussrohres von Dalaran. Aussichtslos strampelnd hing Raxelle im Todesgriff der Ritterin.
„So armselig willst du mich also töten, Leiche?!“, rief Schattenfeder. Die Todesritterin schmatzte. Die Antwort war kurz und bündig. Metallisch hallte es unter dem Helm hervor: „Schwimm, Raxelle. Schwimm.“
Was darauf folgte, schnürte der Waldläuferin die Luft ab. Eine eiskalte Böe riss sie mit unglaublicher Kraft hinfort.
Wie tausend Messerstiche und Schnitte fühlte sich der Aufprall an. Das eisige Nordmeer vor der Küste der Drachenöde hatte sie unsanft empfangen. Ein Schrei entwich ihrer Kehle, welcher ihr nicht mehr als eine Wassergefüllte Lunge bescherte.
„Was ist das? Ein Fisch?“ – „Bei den Weltmeeren, natürlich nicht! Das ist eine Meerjungfrau, sieht man doch!“ – „Dann sind die Legenden also wahr…“ – „Ist sie tot…?“ – „Weiss nicht, lass sie mal rauszieh… GWAHRG!“, vor Schreck kenterte das kleine Fischerboot beinahe.
Das war keine Meerjungfrau, so viel war klar. Spitze, lange Ohren stachen durch das blonde Haar. Die Haut war blass, die Lippen blau. Die vermeintliche Fischfrau hatte natürlich auch keine Flosse sondern ganz normale Beine. Einer der Tuskarr kratzte sich nachdenklich am Kopf. „Was auch immer es ist, es ist halb erfroren. Wir werden es mit ins Dorf nehmen.“ Der andere Fischer nickte zustimmend.
Feuer knisterte. Das warme, wohlige Gefühl von weichen Fellen umspielte Raxelles Haut. Langsam öffnete die Blonde die Augen. Verwirrt sah sie sich um. Sie lag auf einem Haufen Fellen, zugedeckt mit vielen schweren Decken. Neben ihr befand sich eine Feuergrube, woher auch das wärmende Knistern stammte. Der Raum war ansonsten recht schlicht, aber gemütlich eingerichtet. Überall waren Felle und Tücher. Ein kleiner Räucherständer mit Fischen stand dicht neben den Flammen. Wohl bereit zum Einsatz.
Das weiche Bärenfell, worauf sie lag, kitzelte sie sanft am ganzen Körper. Sie streckte sich, fühlte sich wie neu geboren. Einen Moment… Am GANZEN Körper…? Hastig tastete die Waldläuferin über ihren Körper. Entsetzt stellte sie fest, dass sie völlig nackt war! Noch nicht einmal ein Hemd trug sie noch am Leibe! Suchend sah sie sich im Raum um. Irgendwo musste doch ihre Rüstung oder wenigstens ihr Hemd liegen!
Dann auf einmal Schritte. Raxelles Ohren zuckten, ein Schatten erschien beim Eingang der Hütte. Schnell zog sie die Decke bis über die Nase hoch und stellte sich schlafend. Schweren Schrittes trat der Schatten ein. Die Einäugige linste vorsichtig unter der Decke hervor. „Oh, es schläft wohl noch immer.“, murmelte der Tuskarr und stellte scheppernd einen grossen Topf auf das Feuer. Raxelles Magen knurrte lauthals. Kein Wunder, immerhin hatte sie bestimmt seit Tagen nichts gegessen. Der Fischer sah verdutzt in ihre Richtung, ging auf sie zu und hob die Decke etwas an. Die Waldläuferin zuckte quiekend zusammen und umklammerte die Decke mit ganzer Kraft. Der Robbenmann liess die Decke erschrocken wieder los. „Ich… Ich wollte Euch nicht erschrecken!“, er wich etwas zurück. Raxelle richtete sich auf, die Decke nach wie vor fest an ihren Körper gepresst. Sie mochte vielleicht grossmäulig sein, jedoch war sie prüde wie ein jungfräuliches Mädchen welchem Unzucht mit Prügel ausgetrichtert wurde.
„Wo bin ich?“, fragte die Waldläuferin dann nach längerem gegenseitigem Anstarren. „Dies ist Moa’ki. Wir haben Euch aus dem Meer gefischt.“, erwiderte der Tuskarr vorsichtig. Erneut musterte er die Sin’dorei. „Ihr seht nicht aus, als ob Ihr im Wasser leben würdet… Beinahe wärt Ihr erfroren!“ Raxelle nickte bestätigend. „Nein, im Wasser lebe ich tatsächlich nicht. Ich komme aus Windläuferdorf.“ Der Tuskarr legte den Kopf schief. „In der Nähe von Silbermond. Östliche Königreiche.“ – „Aaaah, ich verstehe.“ – „Ich war geschäftlich in Dalaran. Es lief nicht so nach meinen Vorstellungen.“ Der Robbenmann nickte nur und schöpfte beiläufig Suppe aus dem grossen Topf über dem Feuer und stellte der Elfe eine Schüssel hin. „Ihr müsst hungrig sein.“
Raxelle schlürfte die Suppe so gierig, dass sie sich noch nicht einmal darum kümmerte, dass sie sich den ganzen Mund daran verbrannte. So ausgehungert war sie wohl schon lange nicht mehr gewesen. Ein herzafter Rülpser entwich ihrer Kehle, was ihr einen seltsamen Blick seitens des Fischers einhandelte.
„Wo ist meine Rüstung?“, fragte Schattenfeder während der Fischer selbst gemütlich Suppe schlürfte. Auf die Frage hin sah er die Elfe einen Moment nachdenklich an. Raxelle hob die Brauen um die Frage zu unterstreichen. „Wir mussten Euch rausschneiden. Die Ketten klebten an Eurer Haut und das Leder war hart wie Stahl vom eisigen Wasser.“ Raxelle nickte verstehend und seufzte. „Und nun? Ich kann wohl schlecht nackt rumlaufen…“ Der Tuskarr lachte herzlich auf. „In unserem Dorf gibt es einen Rüstungsmacher. Ich bin mir sicher, er wird Euch eine neue Lederrüstung machen.“
Um ein einfaches Leinenhemd bat Raxelle den Fischer. Nur mit jenem bekleidet tapste sie Barfuss durch den Schnee. Bibbernd betrat sie die Hütte, welche der Fischer ihr als Heim des Ledermachers angab. Es roch nach frisch gegerbtem Leder und leicht angebrannt. Der Lederer war gerade damit beschäftigt, ein Muster in eine Brustrüstung zu brennen. Als die Elfe sich räusperte sah er von seiner Arbeit auf. „Oh, Ihr müsst die Meerjungfrau sein, von der man sich im Dorf erzählt.“ Raxelle schmunzelte. „Fast… Ich habe eine Bitte.“ Der Ledermacher sah sie fragend an. Sie fuhr fort. „Wie Ihr seht, besitze ich im Moment nicht mehr als dieses Hemd und meinen Waffen… Ich benötige jedoch wieder eine Rüstung. Der Fischer, welcher mich aufnahm, erzählte mir, Ihr wäret ein guter Rüstungsmacher.“ Der Lederer seufzte. „Ihr besitzt nicht mehr als jenes Hemd? Und wie wollt Ihr meine Arbeit entlohnen würde mich interessieren?“ Raxelle fluchte innerlich. Daran hatte sie nicht gedacht! „Nun… Ihr seid Ledermacher. Und ich ausgebildete Waldläuferin. Ich mache Euch einen Vorschlag: So bald Ihr meine Rüstung gefertigt habt, werde ich Euch massig Leder besorgen. An meinen Jagdkünsten soll es nicht scheitern.“ Der Tuskarr war einverstanden. So nahm er Masse und begann sein Werk.
Zwei Tage später. Schattenfeder legte zum ersten Mal ihre neue Rüstung an. Passte wie angegossen. Wie versprochen ging sie auf die Jagd und belieferte den Rüstungsmacher mit viel frischen Tierhäuten. Herzlich bedankte sie sich auch bei dem Fischer, welcher sie für die Tage aufnahm. Dann machte sie sich auf den Weg zum vereinbarten Punkt, wo sich ihr Trupp erneut zusammenfinden sollte um unter der Leitung von El’Thanas nach Naxxramas auszuziehen…