Das Dorf Halbhügel, im Tal der vier Winde. Chin-Yuah Weichherz war schon seit vielen Jahren nicht mehr hier gewesen. Ganz besonders nicht mit einem triftigen Grund. Der alte Pandaren saß im Halbdunkel des frühen Abends auf der Veranda hinter dem Gasthaus Zur Faulen Rübe. Der Wind trug die köstlichen Gerüche aus der Küche zu ihm nach draußen. Garnelenklößchen, Fischbrühe, Nebelsuppe, süßes Obst... er seufzte leise und stopfte seine Pfeife, den Blick nach Süden gerichtet. Als er den Tabak entzündete, erklang hinter ihm eine Stimme, die er ebensolange nicht gehört hatte, wie er leibhaftig an diesem Ort gewesen war. "Ein wunderbarer Abend, nicht wahr, Meister Weichherz?", sagte sie, während sich ein Schatten ins Licht der Schankstube schob. Wenige Momente später setzte sich der Sprecher neben den alten Pandaren. "In der Tat. Aber nennt mich nicht 'Meister'. Der Titel gebührt mir nicht, wie ihr wisst." Chin-Yuah blies eine bläuliche Rauchwolke in die Abendluft und wandte sich seinem Gesprächspartner zu. Meister Schneepfote, sein alter Lehrer, war in den vergangenen Jahren sicherlich noch weiser geworden... dennoch sah man ihm sein hohes Alter an. Der einst tiefschwarze Pelz ergraut, die strahlenden Augen getrübt. Es stach im Herzen, seinen alten Freund und Meister hinter der Schwelle zum Winter des Lebens zu sehen. "Es ist lange her. Vieles hat sich geändert. Vieles wird sich noch ändern. Und doch bist du hier." Chin-Yuah lächelte schwach, während er an seiner Pfeife zog. "Ihr solltet nicht so überrascht spielen, Meister. Ich weiß, dass ihr nach mir geschickt habt." Der jüngere Pandaren zog eine kunstvoll verzierte Schriftrolle aus seiner Weste hervor und reichte sie seinem Lehrmeister, bevor er diesen genauer betrachtete. Die beiden Pandaren saßen eine Zeitlang schweigend nebeneinander, hinter ihnen der langsam abnehmende Lärm eines gut besuchten Wirtshauses, vor ihnen die Stille der Nacht, nur durchbrochen vom gelegentlichen Schrei eines Nachtvogels. "Also weißt du, weshalb ich mit dir sprechen wollte", nahm Meister Schneepfote schließlich das Gespräch wieder auf. Sein ehemaliger Schüler nickte. "Ja. Und es gefällt mir nicht," sagte er kopfschüttelnd, "aber wer bin ich, meinem Meister zu widersprechen." Der Ältere lächelte wehmütig und legte Chin-Yuah eine Hand auf die Schulter. "Es gibt viel zu bereden. Trotzdem, genieße die Gastfreundschaft deiner Heimat noch ein wenig länger", sagte er, während er sich erhob. "Ich erwarte dich in einigen Tagen im Tiankloster, mein alter Freund. Beeile dich nicht zu sehr... ein alter Bär wie ich braucht eine Weile für eine solche Reise." Noch bevor das letzte Wort verklungen war, löste sich die Gestalt seines Meisters auf und Chin-Yuah saß wieder allein auf der Veranda. Er schüttelte lächelnd den Kopf, klopfte seine Pfeife aus und begab sich zum nächsten Schritt seiner Reise. Immerhin blieb ihm genug Zeit für eine wirklich ausgiebige Mahlzeit.
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Das Tiankloster, vier Tage darauf. "Es sind also gute Leute." Meister Schneepfote stützte sich schwer auf seinen Stab, während die beiden Pandaren die Klosteranlagen entlangschritten. Chin-Yuah nickte. "Allerdings sind sie das. Ich glaube zwar, einige von ihnen wären hier ziemlich fehl am Platze, aber für mich besteht kein Zweifel daran, dass sie alle ihr Leben geben würden, wenn es darauf ankommt." Sein alter Meister nickte. "Das habe ich gehofft. Du weißt, dass der bevorstehende Konflikt größer ist als alle, die wir bisher bestreiten mussten." Wiederum nickte Chin. "Du weißt auch, dass die Chance, ihn zu gewinnen, geringer ist, als alle glauben." Ein erneutes Nicken. "Dennoch bist du... seid ihr gewillt, sie zu nutzen oder bei dem Versuch zu sterben." Chin-Yuah strich sich nachdenklich mit einer Hand den Bart entlang. "Haben wir denn eine Wahl, Meister? Wenn ja, so sehe ich sie nicht." Der ältere Pandaren lächelte. "Es gibt immer eine Wahl, mein Freund. Nur manchmal gefällt sie uns nicht." Sein ehemaliger Schüler schüttelte den Kopf. "Nicht in diesem Fall." Die beiden Pandaren betraten einen weiten, gepflasterten Platz, während sie sich unterhielten. Meister Schneepfote wechselte unvermittelt das Thema, den Blick gen Himmel gerichtet. Er lächelte, als er die warme Nachmittagssonne auf dem Gesicht spürte, und schob seinen Strohhut in den Nacken. "Sag mir, erinnerst du dich an Lung, mein Freund?" Chin erwiderte das Lächeln seines Meisters und nickte. "Ich glaube, niemand könnte ihn vergessen. Wie geht es ihm?" "Gut. Sehr gut sogar. Er freut sich sehr darauf, dich wiederzusehen." Hoch oben am Himmel blitzte für einen Moment etwas Grünes im Sonnenlicht, bevor die beiden ihren Weg fortsetzen, hinaus aus dem Kloster und in den Jadewald hinein. "Er hat uns etwas gegeben, zur Aufbewahrung, bis du zu ihm zurückkehrst. Ich denke, es ist an der Zeit, dass du es erhältst." Meister Schneepfote griff in seine Robe und holte eine funkelnde jadegrüne Schuppe hervor, die er dem überraschten Chin-Yuah reichte. "Das... Meister, ich kann dieses Geschenk unmöglich annehmen." Der ältere Pandaren runzelte die Stirn. "Du kannst und du wirst. Er hat jeden und jede abgelehnt, die uns der Orden schickte, sogar die Meister. So, wie ich es sehe, bist du der einzige, den er akzeptieren könnte. Aber letztendlich liegt die Entscheidung natürlich bei ihm." Chin seufzte. "Wir werden sehen, Meister." Er ließ den Blick schweifen und nahm die Veränderung der Umgebung in sich auf. "Ich kenne diesen Weg. Es ist also soweit?" Meister Schneepfote nickte schwer. "Ja, mein Freund."
Mittlerweile war die Nacht hereingebrochen. Die beiden Pandaren schritten ruhig durch den Jadewald, der eine schwer auf seinen Stab gestützt, sein ehemaliger Schüler neben ihm still in Gedanken versunken. Außer ihren Schritten auf dem Waldboden war nichts zu hören, nicht einmal Nachtvögel oder sonstige Tiere. Hätte es sich nicht um den ruhigsten Teil des großen Waldes gehandelt, hätte die Atmosphäre in diesen Momenten etwas unheimliches an sich gehabt. So aber waren die Begleiter der zwei Pandaren nur Frieden und Stille. "Hier sind wir. Der Hain der Stäbe. Wir waren bereits vor langer Zeit gemeinsam hier, nicht wahr?" Chin-Yuah nickte. "Es müssen mittlerweile fünfundzwanzig Jahre sein, Meister." Der ältere Pandaren nickte langsam und schritt tiefer in den Hain hinein, wobei er dem ausgetretenen Pfad zwischen den zahlreichen Stäben folgte. Aus vielen der älteren Stäbe waren mittlerweile neue Bäume gewachsen, die Verzierungen ihrer einstigen Träger noch immer daran befestigt, als hätte das neue Leben, das aus ihnen entstanden war, noch immer Respekt vor ihnen. Hier und dort blieb der Alte kurz stehen und verneigte sich vor dicken Bambushalmen und jungen Bäumen. "Eisenbauch... Dorntatz... viele bekannte Gesichter. Ah, hier sind wir." Er blieb vor einer Lücke zwischen den Stäben stehen, einer Lücke, in der - etwas nach hinten versetzt - ein großer, mit kunstvoll beschriebenen Schriftrollen behangener Stein stand. Dann drehte er sich zu seinem ehemaligen Schüler um. "Entschuldige, wenn ich nicht alles richtig mache, das hier ist mein erstes Mal." Der alte Pandaren kicherte leise und Chin-Yuah konnte sich nicht dagegen wehren, selbst zu lächeln. "Mir geht es genauso, Meister." Schneepfote schnupperte und richtete seinen Blick auf die Lücke in den Baumkronen. "Veränderung liegt in der Luft, mein Freund. Wie ein frischer Wind. Ob wir es wollen oder nicht, wir müssen uns beugen und mit dem Strom schwimmen." Der alte Pandaren schritt auf den Stein zu, drehte diesem nach einer Verneigung den Rücken zu und setzte sich, auf seinen Stab gestützt, ins weiche Gras. "Ich werde an dieser Veränderung nicht mehr teilnehmen. Allerdings habe ich vor, dabei zu helfen." Chin runzelte die Stirn. "Ich fürchte, ich kann Euch nicht folgen, Meister." Wieder kicherte der ältere Pandaren. "Das musst du auch nicht, mein Freund. Es reicht, dass du hier bist und einem alten Mann bei dem Unsinn, den er von sich gibt, Gesellschaft leistest." Er seufzte leise. "Wir leben in seltsamen Zeiten. Der Nebel hat sich gelichtet. Wir haben viele neue Verbündete. Viele neue Feinde. Und gleichzeitig ist doch vieles beim Alten geblieben. So wie dieser Hain. Und dieses Gespräch." Meister Schneepfote lächelte entschuldigend. "Du weißt, ich habe deine Entscheidung damals immer respektiert. Aber leider hat die Welt einen Punkt erreicht, an dem sie dies nicht mehr tut. Ich habe lange, sehr lange, darüber nachgedacht, bevor ich nach dir geschickt habe. Und nun bitte ich dich darum, auch meine Entscheidung zu respektieren." Der jüngere Pandaren sank gegenüber seinem Meister auf die Knie und neigte den Kopf. "Natürlich werde ich das, Meister Schneepfote." Sein Meister nickte. "Wir mussten mit vielen unserer Traditionen brechen, und nun werde ich das Gleiche tun. Chin-Yuah, ich möchte, dass du in Zukunft meinen Stab führst." Der Kopf des Angesprochenen ruckte nach oben, die Überraschung stand ihm ins Gesicht geschrieben. "Meister, das ist zuviel! Die Tradition gebietet-" "Die Tradition gilt nur so lange, bis eine neue ihren Platz einnimmt. Jede neue Generation schafft ihre eigenen. Mein Leben neigt sich dem Ende zu und ich finde, ich sollte meine eigene Chance dazu bekommen, mit Traditionen zu brechen." Der alte Pandaren feixte, wie ein Schuljunge, der seinem Lehrer einen Streich gespielt hat. "Er hat mir viele Jahre lang treue Dienste geleistet." Er strich sanft über das Bambusholz, als würde er sich jede Kerbe und jede noch so kleine Unebenheit darin einprägen wollen. "Und er wird sie auch dir leisten." Die alten Hände lösten die Lederbänder, mit denen eine Kürbisflasche an das obere Ende worden geknotet war. Sein Schüler räusperte sich. "Meister, ohne diesen Stab könnt ihr nicht..." Schneepfote runzelte die Stirn und sah zu Chin-Yuah. "Kann ich was nicht? Ins Reich meiner Vorfahren? Wann ist ein Stab die Brücke für den Geist geworden? Ich kann und ich werde. Außerdem sind wir bereits über den Punkt hinaus, an dem mein Wohlergehen dir Sorgen bereiten sollte." Er deutete über die Schulter auf den Stein. "Ich habe viel mit unseren neuen Verbündeten gesprochen. Dies hier wird meine eigene Tradition. Ein Gedenkstein statt einem eigenen Bambushain." Schneepfote stand auf und schritt auf Chin-Yuah zu, seinen Stab in der Hand. "Wenn es dir so viel Unbehagen bereitet, tauschen wir einfach. Nicht, dass es für mich einen großen Unterschied macht. Aber für dich sicherlich." Chin stand nun seinerseits auf und löste zerknirscht die Lederbänder am eigenen Stab, bevor er diesen an seinen Meister reichte. "Hervorragend. Ich wusste, du würdest mir diese Bitte nicht abschlagen können." Wieder kicherte der Alte, während er auf den Stein zuschritt. Er knotete seine eigene Kürbisflasche an seinen neuen Stab und lehnte ihn an den Stein, dann wandte er sich erneut Chin-Yuah zu. "Die Welt verändert sich. Sie hat es immer getan. Und wir müssen es ihr gleichtun. Wie Seidenraupen können wir ohne Veränderung nicht überleben. Wir müssen zum Seidenspinner werden. Besonders, wenn niemand von uns weiß, was die Zukunft bereithält. Chin-Yuah Weichherz, ich ernenne Euch hiermit erneut zum Meister der Hand." Der alte Pandaren lächelte, während Chin sich tief vor ihm verbeugte. "Und ich danke Euch erneut für diese Ehre, Meister Schneepfote. Ich gebe euch mein Wort darauf, dass ihr Eure Wahl nicht bereuen werdet." "Nun, zumindest um den Nachwuchs braucht ihr euch keine Sorgen zu machen, so, wie ich gehört habe." Schneepfote lachte leise und legte dem neu ernannten Meister eine Hand auf die Schulter. "Und nun, Meister Weichherz, solltet ihr euch auf den Weg machen. Eure Verbündeten brauchen sicher einen fähigen... was war es? Koch?" Er schüttelte lachend den Kopf. "Das hier muss ich allein hinter mich bringen, alter Freund." Chin-Yuah erwiderte den Blick des alten Pandaren. "Ich werde mich stets an euch erinnern, Meister." "Das will ich auch hoffen. Ansonsten wäre es ziemlich schwierig, mir eine angemessene Strafe auszudenken. Trinkt einfach in Zukunft ein Bräu mehr, dann bin ich zufrieden. Und nun solltest du wirklich zurückkehren. Teile den anderen meine Entscheidung mit. Ich denke nicht, dass sich etwas für dich ändern wird. Immerhin bildest du ja bereits aus. Oh, und du solltest wirklich mit Lung sprechen. Ich glaube, er würde es dir ernsthaft übelnehmen, wenn du wieder ohne ihn gehst." Chin-Yuah lächelte. "Keine Sorge, Meister. Ich denke, ich sehe zumindest einen Teil des Weges klar vor mir."
Gast Gast
Thema: Re: [WoW] Chinyuah - Der Weg So 18 Sep - 0:19
Der Jadewald - die Kaskade der Ruhe. Weit draußen auf dem See, dort, wo die Strömung aufgrund des Wasserfalls beinahe zu stark war, um dort sicher stehen zu können, dort, wo das Wasser durch stete Bewegung am kältesten war, dort, wo das sichere Ufer am weitesten entfernt war... genau dort stand ein einsamer Pandaren im knietiefen Wasser. Der Stab in seiner Hand beschrieb ruhig und kraftvoll kreisförmige Muster, ohne dabei das Wasser zu berühren. Ein Zoom findet statt. Die Augen des Pandaren waren geschlossen, seine Kleidung oberhalb der Hüfte dem Spritzwasser zum Trotz vollkommen trocken. Sein Strohhut schützte ihn vor der Sonne, die orangene Gürtelschnalle mit dem weißgoldenen Lindenblatt darauf an seiner traditionell roten Schülerkordel wies ihn als Meister seines Pfades aus. Und vermutlich auch als Meister der Bescheidenheit. Sein Stab in der rechten Hand wiederum... nun, das war etwas ganz anderes. Dunkles, scheinbar uraltes Bambusholz, mit zahlreichen Kerben darin, verstärkt mit Metallbändern und verziert mit jadenen Gebetsperlen... und an der Spitze zwei Kürbisflaschen und ein kleines Fass aus Eichenholz, befestigt mit abgegriffenen, speckig wirkenden Lederbändern. Trotz des Gewichts schien es dem Pandaren keinerlei Mühe zu bereiten, diesen Stab zu schwingen wie einen Rohrstock. Die linke Hand, zur Faust geballt, mit senkrecht nach oben ausgestrecktem Zeige- und Mittelfinger, exakt auf Höhe der Augenbrauen, war umwickelt mit einer Bandage. Dies war Chin-Yuah Weichherz, seit wenigen Tagen erneut zum Meister der Hand ernannt. Ein Sprung aus dem Wasser, eine rasche Drehung, das Fass glitt über die Wasseroberfläche und von seinem Standort verbreiteten sich sogar gegen die Strömung kurz konzentrische Kreise.
Ein erneuter Zoom findet statt, begleitet von einem Gong. Ein pandarisches Mönchskloster, hoch oben in den Bergen. Eisiger Wind umweht die Mauern. Der Gong erklingt erneut. Chin-Yuah kniet, tief verbeugt, vor einer Anhöhe, auf der ein Pandaren in blau-weißer, fließender Robe mit tiefschwarzem Pelz eine feierliche Rede hält, den Blick stolz auf den jungen Mönch in Schülerkleidung gerichtet, hinter beiden eine große Gruppe Pandaren beiderlei Geschlechts, ebenfalls auf Knien, jedoch nicht verbeugt. Außer der Stimme des Meisters, dem Wind und dem ausklingenden Gong herrscht vollkommene, andächtige Stille. "Chin-Yuah Weichherz, es ist mir eine große Ehre, euch fortan Meister der Hand nennen zu dürfen. Erhebt euch, Meister, und nehmt die Abschriften unseres Weges an euch, wie es eurem Stand gebührt!" Erneut wird der Gong geschlagen.
Chins Bewegungen wurden rascher und blieben dennoch ebenso kraftvoll wie zuvor. Ein erneuter Sprung, der Stab wirbelte scheinbar ohne sein Zutun zweimal schräg um die eigene Achse und der Pandaren landete erneut im Wasser. Fass und Flaschen glitten wie Eisvögel über das kalte Nass.
"Ich danke euch, Meister Schneepfote. Doch ich muss ablehnen. Mir gebührt der Titel des Meisters nicht. Meine Techniken sind fehlerhaft und..." - Der Klang der Überraschung gleitet durch die Menge. Meister Schneepfote lächelt. "... und ihr müsst noch lernen? Chin-Yuah, das Wissen um die Fehlbarkeit ist genau, was einen Meister vom Adepten unterscheidet." Der junge Pandaren schüttelt den Kopf. "Nein, Meister. Das ist es nicht. Ich bin nicht in der Lage..."
Ein Tropfen rann über die Wange des Pandaren, ohne ihm zuvor ins Gesicht gespritzt zu sein, funkelte im Sonnenlicht des frühen Morgens und verlor sich in seinem Bart. Dann noch einer. Und ein dritter. Er bewegte sich noch schneller. Der Stab, die Flaschen, das Fass daran verwandelten sich in Schemen, die in wahnsinnigen, wirbelnden Mustern über das Wasser zuckten, ohne es zu berühren. Ein Sprung, eine Drehung. Eine weitere Drehung. Das Fass berührte die Wellen.
Ein erneuter Gongschlag. Meister Schneepfote hebt die Hand und sieht kurz über die Schulter, bevor er die wenigen Stufen zu seinem Schüler hinunterschreitet und sich vor ihn kniet, wobei er sich ebenso tief verbeugt wie dieser, bis beide ihrer Schnauzen beinahe den Boden berühren. "Mein Schüler. Freund. Teilt mir eure Sorgen mit." Der junge Pandaren sieht nicht auf. "Meister, ich... ich bin nicht bereit." Der Meister lacht leise, nur für seinen Schüler hörbar. "Dies ist keine Entscheidung, die ein Schüler fällt, mein Junge." "Ihr habt mich gerade zum Meister ernannt, nicht wahr?"
Aus den einzelnen Tropfen auf den Wangen des alten Pandaren wurden dünne Ströme, die sein Fell schwarz färbten. "Ruhe." Seine Bewegungen verlangsamten sich nach und nach immer weiter.
Der Gong erklingt erneut. Meister Schneepfote lächelt, ganz für sich allein. "Mein Sohn. Welche Zweifel trägst du in deinem Herzen?" Chin-Yuah antwortet eine Zeitlang nicht. Einen, zwei, drei Gongschläge. "Unsere Heimat kann nicht alles sein, Meister." Das unerkenntliche Lächeln des Meisters wird breiter. "Du bist nicht der erste, der so denkt. Nun gut." Meister Schneepfote erhebt sich.
Den Arm ausgestreckt hielt der Pandaren den Stab von sich. Das Fass am anderen Ende hing nur Zentimeter über der Wasseroberfläche, ohne zu zittern. Ein verwirrter Wasservogel nahm kurz auf dem Stab Platz und stieß sich kreischend wieder ab, als Chin-Yuah sagte: "Gleichgewicht." Der Stab bewegte sich keinen Millimeter.
Ein weiterer Gongschlag. "Chin-Yuah Weichherz wird eine Prüfung seiner Fähigkeiten ablegen, um seine Eignung unter Beweis zu stellen!" - Erleichterung zeigt sich auf den Gesichtern der versammelten Schüler, Initianden und Adepten hinter dem Knieenden. "Er wird den Nebel durchqueren, die Welt kennenlernen, von ihr lernen und weiser zu uns zurückkehren, er wird an sich selbst und allem um ihn und uns herum wachsen... nur eines wird er nicht stärken müssen. Seinen Mut! Und nun... trinken und essen wir, zur Feier und zum Abschied!" Meister Schneepfote richtet lächelnd den Blick auf Chin-Yuah, während dieser sich erhebt. "Ist es das, was du wolltest, mein Freund?"
Der alte Pandaren im See schulterte seinen Stab. Die Kürbisflaschen daran schlugen ihm leicht gegen den Rücken und er sah hinauf zur Sonne, bis ihre Wärme seine Tränen trocknete. Er griff in seine Hemdinnentasche und holte ein Stöckchen daraus hervor, das er sich in den Mundwinkel steckte. Nachdem er einmal darauf gebissen hatte, lächelte er. Er rieb an der jadegrünen Schuppe, die er, mit Gold eingefasst, an einem weichen, roten Band um den Hals trug, bis vom Himmel hinter ihm ohrenbetäubendes Brüllen erklang. Er lächelte erneut, als er in die Sonne blinzelte und leise, nur für sich selbst hörbar sprach: "... Frieden."
Silva Frischling
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Thema: Re: [WoW] Chinyuah - Der Weg Mo 19 Sep - 9:40
Thema: Re: [WoW] Chinyuah - Der Weg Do 22 Sep - 15:04
Sehe ich genauso! Du hast Föng wiederbelebt!
Gast Gast
Thema: Re: [WoW] Chinyuah - Der Weg Sa 24 Jun - 1:13
Chin-Yuah Weichherz blickte über das nächtliche Schlachtfeld. Die Front im Kampf gegen die Legion hatte sich endlich verschoben, nach mehreren Wochen erbitterter Kämpfe. Heiler und Geistliche eilten über den blutgetränkten, verbrannten Boden, riefen nach Helfern oder sprachen letzte Gebete. Der alte Pandaren schloss die Augen bei diesem Anblick. Hunderte waren gefallen, im Kampf gegen... wie viele waren es? Fünfhundert? Eintausend? Es spielte kaum eine Rolle. Ihre Zahl schien endlos, und sie brandeten wie unerbittliche Flutwellen gegen die Schilde der Verteidiger Azeroths. Und wie Wasser höhlten auch ihre Tropfen den Stein. Eine einzige Lücke, nur ein gefallener Soldat reichte aus, um fünf weitere das Leben zu kosten. Er verlagerte das Gewicht des Stabes auf seiner Schulter und erinnerte sich an die Worte seines Meisters, kurz bevor er diese Welt verließ. "Wie die Seidenraupe brauchen wir die Veränderung, um zu überleben. Wir müssen zum Seidenspinner werden." Aber wie sollte man gegen einen derartigen Feind bestehen können? "Du weißt, dass der bevorstehende Konflikt größer ist als alle, die wir bisher bestreiten mussten", hallte die Stimme seines Meisters im Geist des Pandaren wider. Ein wahres Wort, und das, obwohl er nur aus Geschichten und Erzählungen von der Legion gehört haben konnte. Selbst die Mogu waren in ihren Feldzügen gegen die Ahnen berechenbarer gewesen, ging es ihnen doch um Macht und Unterjochung der schwächeren Völker. Aber die Dämonen? Ihr einziges Ziel schien darin zu bestehen, alles zu töten und zu vernichten, das ihnen im Weg stand. Er seufzte schwer und öffnete die Augen wieder. Trotz allem gab es noch immer Hoffnung in den Herzen der Krieger. Vereinzelt sah er die Heiler humpelnde Verletzte in Sicherheit führten, fort von ihren gefallenen Kameraden. Und mehr als einer der Geistlichen schien mit seinen Gebeten die Seelen der Toten zurück in ihre Körper lenken zu können. Die Zahl der Toten war noch immer gewaltig, dennoch gab es mehr Überlebende, als er gehofft hatte. Ein schwaches Lächeln fand den Weg auf seine Lippen, während er sich ein Stöckchen aus dunklem Holz in einen Mundwinkel steckte und langsam darauf zu kauen begann. Dann wandte er sich ab und wanderte zurück ins Lager. Wie viel Zeit war vergangen, seit die Rabenwache für vernichtet erklärt worden war? Und wie lange hatte es danach gedauert, bis der Dämon, der von Lady Blutfeder Besitz ergriffen hatte, enttarnt wurde? Chin-Yuah schüttelte sacht den Kopf, als er sich im Küchenzelt vor den erloschenen Ofen setzte. Die einsetzende Trauer bei diesen Gedanken wich der tiefen körperlichen und geistigen Entspannung der Meditation, als er wie von selbst in die antrainierte Haltung glitt. Die Verzweiflung beim Anblick des Schlachtfelds wich einem nüchterneren Betrachtungswinkel, während sein Geist sich aus den Fesseln des Körpers befreite. Szenen des Kampfes zogen vor seinem inneren Auge vorbei. Er selbst hatte in der vordersten Linie sein Bestes gegeben. Und auch, wenn die Dämonen unsterblich sein mochten, ihre Seelen würden sich sicherlich daran erinnern, dass Töpfe und Pfannen in den Händen eines Pandaren ebenso tödlich sein konnten wie Klingen. Das innere Auge des alten Bären glitt an den Bildern der Kämpfenden vorbei. Er wusste, dass sein Gesichts ausdruckslos bleiben würde, also kämpfte er nicht gegen das Lächeln an, während sein Geist sich mit zunehmender Geschwindigkeit vom Schauplatz entfernte, fort vom verbrannten Boden, den zerschmetterten Körpern, hin zu einem Ort der Ruhe, des Friedens und der Einkehr, weit draußen auf den Ozeanen der Welt. Die wandernde Insel. Er hatte nie einen Fuß auf den Rücken Shen-zin Sus gesetzt, und würde es wohl auch niemals. Die "Insel" war auch weiterhin unaufspürbar, und niemand, der sie verließ, kehrte dorthin zurück. Dennoch hatten die Großmeister sie zu einem Zentrum der Kriegsvorbereitungen Pandarias umfunktioniert. Er sah einige Magierportale, durch die unablässig Vorräte in beide Richtungen wanderten, Novizen und Adepten, die Seite an Seite ihre Kampfkünste trainierten, Schreine der Himmlischen, eine Kriegskarte, um die sich die wachsten Köpfe der Pandaren versammelt hatten... "Äh, öhm... M-Meister... Weichkeks? Eh... nein... Weich... irgendwas. Hier is'n Brief für euch, kam gerade erst an. Mit, äh, der letzten Lieferung." Die Stimme drang in seine Ohren wie durch zähflüssigen Honig, und es dauerte einen Moment, ehe er realisierte, dass jemand seinen Körper angesprochen hatte. Chin-Yuah öffnete langsam die Augen und drehte den Kopf in Richtung der Stimme. Ein junger Orc stand da im Zelteingang, scheinbar vollkommen frei von Narben, und wedelte mit einem zerknitterten Umschlag herum. Auf seinen Stab gestützt erhob sich der Pandaren und schritt auf den Orc zu, um ihm den Brief abzunehmen. Dann lächelte er, als er sah, wie der Junge versuchte, an ihm vorbeizulugen. "Danke, mein junger Freund. Ich hoffe, ich kann euch eine angemessene Gegenleistung anbieten?" Der Orc sah zu ihm auf, unerwartet schüchtern... vermutlich war er wirklich gerade erst erwachsen und entsetzt von all dem Blutvergießen, keine hundert Meter entfernt. "Ähm... die, ähm. Reisbällchen. Vom letzten Abendessen. Da... sind nicht vielleicht so'n paar übrig geblieben?" Chin-Yuah kicherte leise, langte in einen Beutel an seiner Seite und reichte dem Jungen ein sorgfältig verschnürtes Päckchen. "Teilt sie euch gut ein." Mit funkelnden Augen nickte der Junge, schien einen Moment lang unschlüssig und verbeugte sich dann, während er in typischer Orc-Manier salutierte. Chin erwiderte die Verbeugung und sah dem Orc lächelnd nach, während dieser mit seiner Beute im Gewusel des Lagers verschwand. Dann warf er einen Blick auf den Briefumschlag, öffnete ihn und las. Einige Minuten später faltete er das Papier vorsichtig, steckte es zurück in seinen Umschlag und ließ es in einer Innentasche seiner Weste verschwinden. Wieder schlich sich ein Lächeln in seinen Geist, aus dem gleichen, geradezu unpandarischen Grund, und diesmal unterdrückte er es nicht. Er wandte sich dem Sonnenaufgang zu, stützte sich auf seinen Stab und hielt die freie Hand vor die Augen. Die meisten der Toten hatten Hörner.