Das Einhorn unter ihr strauchelte. Sein mühsam pfeifender Atem trug zu der Kakophonie des tobenden Lärms bei, verstopfte ihre Ohren so wie der allgegenwärtige Geruch nach sauren Innereien, Metall und Pein ihre Nase füllte. Ihre Hände rutschten an den von Schweiß und Blut glitschigen Zügeln entlang und griffen nach. Unbarmherzig zerrte sie den herabsinkenden Kopf des Einhorns nach oben, bis von den weichen Lippen des Tieres blutiger Schaum troff und es vor Schmerz stöhnte. Aber ihre eiserne Hand gab nicht nach. Sie zwang das Einhorn dazu, wieder in einen langsamen Galopp zu fallen, anstatt es zuzulassen, das sich das Tier den zahllosen Wunden an seinen Flanken und der Brust ergab und sich mitten auf dem Schlachtfeld einfach ausstreckte. Das edle Reittier war bereits unrettbar verloren, zu Schande geritten und ausgeblutet, ohne den Willen noch weiter zu kämpfen. Jetzt zählte für sie nur noch, sich selbst in Sicherheit zu bringen und dafür jeden übrigen Atemzug des gebrochenen Geschöpfs auszunutzen.
Sie war mit ihrem undisziplinierten, heißspornigen Kampfverband viel zu weit hinter die feindlichen Linien geraten. Als das tödliche Missgeschick von dem führenden Offizier bemerkt und der Rückzug mit schallendem Horn angeordnet wurde, hatte sich bereits eine gut organisierte Abteilung aus Elitegardisten zwischen die Nachschubtruppe und den Kavallerieflügel gedrängt. Abgeschnitten durch ein simples Manöver, über das in der Sicherheit des Feldlagers stets nur geschmunzelt worden war.
Tief duckte sie sich über den Hals ihres Tieres, die nach Schweiß und Tod schmeckende, wehende Mähne im Gesicht, und entging damit knapp dem Hieb einer Hellebarde. Das Klingenblatt beschrieb einen pfeifenden Halbmond über ihren Kopf hinweg, dann knirschte es vernichtend, als der Waffenträger unter wirbelnden Hufen zermalmt wurde. Zurück blieb ein weiterer hässlicher Striemen, dessen Dunkelrot tief in das schmutzige Weiß des Einhornfells schnitt. Sie war bereits zwanzig Schritte weitergaloppiert, ehe sie es wagte den gehetzten Blick zu heben.
Eine riesige, keilförmige Drachenschnauze schob sich in ihr Sichtfeld und schnüffelte aufdringlich. Sie blinzelte, drückte mit beiden Händen den schuppigen Schädel auf Armeslänge von sich und drehte den Kopf. Über das Geländer der luftigen Terrasse hinweg konnte sie weit unten die verfaulenden, braunen Äcker der Pestländer ausmachen. Der muffige Wind trieb einen spinnwebartigen Vorhang roter Haare in ihr Gesichtsfeld. Eine lang nicht mehr empfundene Woge der Verwirrung schlug mit der Gewalt einer gepanzerten Faust auf ihr Bewusstsein ein. Wie war das möglich?
Sie hatte geträumt.