Tanaris: Gegenwart
Es war bereits nach Mitternacht, als eine dunkel gekleidete Gestalt die Höhlen der Zeit verliess und durch den langsam abkühlenden Sand der Wüste von Tanaris schritt. Immer wieder drehte sich die Gestalt um, sich selbst versichernd, dass keiner folgen würde. Die Gestalt schritt den Gebirgen der Wüste entlang, fast eine halbe Stunde ohne Unterbruch. Schliesslich blieb die Gestalt vor einem kleinen Höhleneingang stehen. Erneut ein Blick über die Schulter, dann trat die Gestalt in die Höhle. Der dunkle Umhang wurde abgelegt. Mit einem Fingerschnippen glühten vier kleine Feuerbälle an den Wänden auf. Die schwarzen Haare des Elfen glänzten im schalen Licht des Feuers. Threanor Ae'nios griff sich ein Stück Holz, welches achtlos im Sand lag, begann damit ein Muster in der Höhle abzulaufen und zog Linien und Kreise in den sandigen Boden. Leise murmelte er in fremden Zungen. Die Linien glühten in einem bläulichen Licht auf, schienen zu pulsieren, je mehr er sprach. Schliesslich begann sich inmitten des Musters eine Gestalt zu manifestieren.
Das Glimmen liess schliesslich nach. Nun waren sie zu zweit in der Höhle. Der Gestank von Schwefel durchzog den kleinen, von Natur geschaffenen Raum.
„Es ist lange her, Meister.“, sprach eine dunkle Frauenstimme.
„Allerdings. Es ging nicht früher.“, Threanor verschränkte die Hände im Rücken und ging vor der Gestalt auf und ab.
„Was wünscht Ihr, Meister?“, mit diesen Worten ging die Gestalt langsam auf ihren Meister zu. Die hufartigen Füsse sanken tief im Sand ein, der lange Schweif tanzte nervös herum. Lasziv strich sie dem Blutelfen mit den schlanken fingern über die Wange, schmiegte ihren behörnten Schädel an seine Brust. „Braucht Ihr... Entspannung...? Wonach sehnt es Euch, Meister? Sagt es mir...“
Der Nethermant reagierte mit einem kühlen Schmunzeln auf das Tun seiner dämonischen Dienerin. „Du weisst, was ich will.“, entgegnete er, ohne auf ihre körperlichen Berührungen zu reagieren.
Die Sukkubus blickte skeptisch zu ihrem Meister auf. „Hier? Im Sand? Na, wie Ihr wollt, Meister. Aber beschwert Euch danach nicht über den Sand in jeder Körperöffnung...“, sie kicherte, Threanor jedoch lachte leise auf und schüttelte den Kopf. „Nein, nicht das. Wir wissen aus früherer Erfahrung, dass dies keine gute Idee war.“
Er löste sich von der dämonischen Dienerin, schritt in die Mitte der Ritualzeichnungen, streifte sein Hemd ab und kniete sich hin. Das Makellose, fast hüftlange Haar zog er sich über die Schulter nach vorne. Die tiefen, furchigen Narben auf seinem Rücken erzählten Geschichten von früheren sogenannten Entspannungsritualen. Die Sukkubus seufzte, zog ihre Peitsche vom Gürtel. „Bereit wenn Ihr es seid, Meister.“
Keine Antwort kam von dem Nethermant. Die Augen waren bereits geschlossen. Der erste Hieb brannte wie ein ein glühendes Eisen über die Haut. Wohlig seufzte er auf, als er fühlte, wie das warme Blut seinen Rücken hinunter floss. Ein zweiter, brennender Hieb, er regte sich kein Stück. Die Atemzüge wurden tiefer und langsamer. Völliges Abtauchen in die eigene Gedankenwelt.
Silbermond: Jahr 159
Threanor öffnete die Augen, sah sich um. Er stand inmitten seines Elternhauses. Entfernt konnte er Kindergeschrei ausmachen. Langsam schritt er durch die Wohnräume seines prächtigen Heimes, nach dem Schreihals Ausschau haltend. Er brauchte gar nicht lange zu warten, da rannte ein kleiner, schwarzhaariger Elfenjunge bereits kreischend auf ihn zu. Er hätte darauf wetten können, er würde mit ihm kollidieren. Jedoch ging er einfach durch ihn hindurch. Verwirrt sah er dem Jungen nach, folgte ihm. Der Schreihals rannte durch das ganze Haus, hinaus zum Innenhof, wo eine Elfe mit langem, schwarz gewelltem Haar an einem Gartentisch sass und Tee trank. Unter Tränen hielt der Junge der Frau einen leblosen Frosch entgegen. Die Elfe rollte genervt mit den Augen. „Threanor! Ich habe dir schon hundert Mal gesagt, du sollst diese Viecher nicht ins Haus schleppen! Vareon! VAREON!“
Schritte erklangen vom Innern des Hauses. Ein hochgewachsener, schlanker Elf mit brustlangen, braunen Haaren schritt in den Innenhof. Er war, genau wie die Elfe am Tisch, in teure Roben gekleidet. Fragend blickte der Elf die Frau an.
„Warum weint er schon wieder?“, Vareon schritt auf seinen Sohn zu und hob ihn hoch. Der junge Elf presste sich sofort schluchzend an die Schulter seines Vaters und drückte ihm den toten Frosch in der Hand fast ins Gesicht. Reflexartig weicht der Kopf des Elfen etwas zurück, und würde ihm mit der freien Hand den Frosch aus den kleinen Fingern entreissen.
„Was ist denn mit ihm passiert?“
Der Junge schniefte. „M-mamas Katze...“
Die Mutter derweil sass nach wie vor am Tisch, seelenruhig ihren Tee schlürfend. „Ich habe ihm gesagt, er soll diese Viecher nicht ins Haus bringen.“
Vareon seufzte, setzte sich mitsamt Threanor auf den freien Stuhl, gegenüber seiner Frau.
„Sei nachsichtig mit ihm, Cystrelle.“, dann strich er seinem Sohn durch die schwarzen Haare. „Wir beerdigen deinen Frosch, ja? Aber das nächste Mal lässt du deine Frösche lieber im Teich. Da sind sie ohnehin lieber als in unserem Haus.“
Threanor nickte, schniefte noch mal und wurde dann von seinem Vater wieder auf die Füsse gestellt. „Und nun geh spielen bis es essen gibt. Und vergiss nicht, dir die Hände zu waschen.“
Der kleine, schwarzhaarige Elf wuselte davon. Vareon griff sich seine Tabakpfeife vom Tisch und stopfte diese, ehe er sie entzündete und anfing zu paffen. Er sah seine Frau an, welche schweigend ihren Tee rührte. „Ich habe die schönste Frau Quel'Thalas', jedoch ist sie ihrem eigenen Kind gegenüber kalt wie ein Gletscher. Was ist los, meine Liebste?“
Cystrelle seufzte, legte den Löffel klackend auf den hübsch verzierten Unterteller. „Du verwöhnst ihn zu sehr. Wie soll er jemals auf der Akademie bestehen, wenn du ihn in Watte packst? Er weint ständig. Er fällt hin, er weint. Irgend ein Insekt stirbt, er weint. Es ist zum Verzweifeln.“
Vareon schmunzelte. „Er ist gerade mal fünf, Cystrelle. Natürlich weint er dauernd. Er will deine Aufmerksamkeit.“
Sie schlürfte ihren Tee, setzte die Tasse dann wieder ab. „Ich freue mich auf den Tag, an dem er auf die Akademie geht. Nie hätte ich geahnt, dass Muttersein so viel Arbeit bedeutet.“
Der hochgewachsene Elf klopfte seine Pfeife aus, stand auf. „Wenn du mich entschuldigst, ich muss einen geliebten Frosch beerdigen. Danach gehe ich mit ihm zu den Teichen bis das Essen bereit ist.“
Mit den Worten verliess er den Innenhof und liess die seufzende Elfe zurück...