Süßer Sieg.
Mehr konnte sich der wabernde Schatten nicht denken, als er unsichtbar über Azeroth hinwegflog. Gerade eben noch hatte er die Priesterin mit der kleinen Nethermantin vernichtend geschlagen. Erbärmliche, sterbliche Wesen. Bald würden sie alle unter der Macht des Schattens dienen. Unter ihm selbst und seinen Geschwistern. Alle auf einer einzigen Mission: Real und original werden.
Sie waren vor Jahrhunderten geschaffen worden. Perfekte Wesen, die sich in einem anderen Lebewesen einnisteten. Sie wurden zum Schatten ihres Opfers, zehrten an ihrem Lebenslicht bis der Schatten die Oberhand gewann. Kurz: Bis das letzte bisschen Hoffnungslicht zerbrach, und der Schatten zum Original wurde.
Das brauchte zwar eine Menge Arbeit, aber die war's wert. Der Schatten hatte sein Original ausspioniert. Studiert. Cheinesse Cheida Sonnensang. Sie hatte schon viel durchgemacht. Es war spannend, denn das machte es anspruchsvoller sie zu brechen. Oder auch nicht? In der kleinen Nethermantin schien sich eine Schwäche zu zeigen. Diese musste er ausnutzen!
Eine kurze Bewegung des Fingers, und schon war die Sicht des Schattens auf die kleine Elfe fixiert. Das helle rote Haar zu einem Zopf gebunden, leicht selbstgefällig und offensichtlich Novizin in ihrer Kunst. Ein leichtes Ziel. Niemand würde merken, dass er alles mitsah. Vielleicht ergab sich ja etwas, was der Schatten gegen sein Original benutzen könnte.
Der Schatten grinste breit. Die dunklen gelben Augen streiften über die Länder von Lordaeron. Er liebte sein Dasein. Ihm waren keine Grenzen gesetzt. Er konnte sich in sein Original verwandeln. Wenn er wollte könnte er auf den Basar von Silbermond gehen. Ihren Ruf zerstören. Bei manchen Elfen reichte das bereits, um sie zu brechen.
Aber warum einfach machen? Er würde sich Zeit lassen, um genau dort hinzustechen wo es weh tut. So viele Möglichkeiten waren berauschend. Diesmal würde es ein Meisterstück werden. Das Herz seines Originals würde gebrochen werden. Die Hoffnung zerschmettert. Der Körper würde sich willig für seine Übernahme einfach zu Boden schmeißen.
Bei dem Gedanken musste der Schatten noch breiter grinsen. Ob seine Geschwister ebenso ihre Freude hatten? Kurz weitete der Schatten seine Sinne aus, und suchte nach seinen Kollegen. Der eine war zurzeit in Gilneas. Er sammelte Informationen über sein Original Raxelle Schattenfeder. Es würde wohl noch etwas dauern, bis er zum Zuge kommt. Ein weiterer Schatten erschien in Unterstadt. Der Schatten von dieser Todesritterin. Nyr Vleit. Das könnte interessant werden. Der Cheida Schatten beschloss, dieser Geschichte öfters Aufmerksamkeit zu schenken.
Die restlichen Schatten waren eher uninteressant. Der eine musste sich um einen gebrochenen Mann kümmern, der andere um eine Kindsmutter. Dort war wieder einer, der sich um einen Blutritter kümmern musste. Langweilig.
Dann dröhnte eine schauderhafte Stimme im Kopf des Schattens.
"WAS TUST DU DORT, MEIN KIND? ZURÜCKLEHNEN, UND DEINE EXISTENZ GENIESSEN?!"
"Nein, Herr. Ich überschaue die Lage, und..."
"DU HAST DICH AUF DEIN ORIGINAL ZU KONZENTRIEREN! MARSCH! ODER SOLL ICH PERSÖNLICH BEI DIR VORBEISCHAUEN?"
Der Schatten bekam es mit der Angst zu tun. Trotzdem nahm er sich zwei Sekunden, seine Worte zurechtzulegen und antwortete erst dann mental seinem Herren.
"Natürlich, Herr. Ich eile. Ich wollte mich nur kurz mit meinen Geschwistern koordinieren."
Die dunkle Präsenz verschwand dann aus seinem Schädel. Glücklicherweise. Dann musste der Schatten bereits wieder grinsen.
Wenn er selbst als dunkles Wesen Angst vor seinem Herren hatte, was würde es dann bei Sterblichen anrichten?
Diesen Gedanken würde er weiter fortführen, wenn er endlich den Originalplatz eingenommen hatte. Oder er würde dann Cheida zuende denken lassen. Vielleicht war sie ja als etwas intelligentere Bedienstete zu gebrauchen.
Genug Spaß für heute, jetzt geht's wieder an die Arbeit.
Der Schatten tauchte wieder die Dunklen Ecken von Azeroth ein.